Stromtrassen auf dem Prüfstand

Geballtes Fachwissen von Experten und gesunder Menschenverstand von Bürgern: Eine "Kontaktgruppe" nimmt seit vier Monaten die verschiedenen Trassen für die geplante 110-KV-Leitung der ENBW unter die Lupe.  Foto Harald Zigan

Seit vier Monaten stehen 16 Bürger und Naturschutz-Experten sozusagen unter Strom: In einer "Kontaktgruppe" machen sie sich intensive Gedanken über die von der ENBW geplante 110-KV-Stromleitung.

Harald Zigan Hohenloher Tagblatt 12.2.2015

Seit vier Monaten stehen 16 Bürger und Naturschutz-Experten sozusagen unter Strom: In einer "Kontaktgruppe" machen sie sich intensive Gedanken über die von der ENBW geplante 110-KV-Stromleitung.

 

Die hohenlohischen Stromleitungen schwächeln - immer mehr Erzeuger drängen hierzulande mit Strom aus Fotovoltaik, Biomasse und Windkraft ins Netz. Vor einem Jahr legte der Energiekonzern ENBW die Karten für eine neue 110-Kilovolt-Stromleitung auf den Tisch: Zwischen dem Umspannwerk in Kupferzell und Rot am See soll eine Lücke geschlossen werden.

 

Die ENBW hat es sich von Anfang an auf ihre Fahnen geschrieben, bei der Planung der Trassen die betroffenen Bürger und örtlichen Institutionen (vor allem aus dem Naturschutzbereich) mit ins Boot zu holen. Seit vier Monaten suchen die Mitglieder einer "Kontaktgruppe" nach dem "kleinsten Übel" und dem größten gemeinsamen Nenner in Sachen Stromleitung: Das Gremium soll einen Vorschlag für eine Trasse erarbeiten, die im Idealfall in das Genehmigungsverfahren eingespeist werden könnte.

 

Auch beim fünften von acht geplanten Treffen in Gerabronn, vom Kommunikationsprofi Frank Ulmer aus Stuttgart moderiert, floss jede Menge Hirnschmalz: Diesmal ging es darum, die vier möglichen Leitungskorridore (darunter drei Trassen, die für Erdkabel geeignet sind) unter dem Aspekt des Natur- und Bodenschutzes genau unter die Lupe zu nehmen - kein leichtes Unterfangen in einem Gremium, in dem die energiepolitischen Weltbilder zuweilen weit auseinander liegen. Hagen Werner aus Gerabronn etwa, Vorsitzender der "Schutzgemeinschaft Ländlicher Raum Hohenlohe", hält denkbar wenig davon, parallel zu bestehenden Stromleitungen neue Masten zu setzen.

 

Die große Bandbreite der Interessen zeigte auch ein Disput zwischen Martin Zorzi vom Umweltzentrum in Hall und Helmut Bleher, Geschäftsführer des hiesigen Bauernverbandes. Zorzi entwickelte eine alternative Trasse, die weiter südlich als alle anderen Varianten verläuft, die Jagst in der Nähe der Autobahnbrücke der A 6 bei Satteldorf quert, dann nach Norden in Richtung Rot am See verläuft und den Vorteil hat, sensible Räume von Mutter Natur weitgehend zu schonen.

 

Der Nachteil dieser Trasse: Sie ist fast doppelt so lang wie alle anderen Varianten. Für Martin Zorzi kein Ausschlusskriterium: "Eine längere Trasse durch eine ausgeräumte Landschaft ist mir lieber als eine kürzere Trasse durch wertvolle Biotope." Dem widersprach nicht nur Helmut Bleher heftig, der auf dieser Trasse massivere Folgen für die Landwirtschaft befürchtete: Auch Carsten Stiens, der für die ENBW das Strom-Projekt plant, gab zu bedenken, dass mit der Länge eines Korridors "natürlich auch die Eingriffe in Grund und Boden zu nehmen." Aus Naturschutz-Sicht überzeugte die Zorzi-Trasse dennoch die meisten Mitglieder der "Kontaktgruppe": Der Vorschlag wurde bei einer Abstimmung am besten benotet.

 

HARALD ZIGAN 13.2.2015

 

 

Schwierige Materie

 

Jacqueline Schill aus Elpershofen: „Das ist ein sehr spannendes Thema“ – für einen Laien sei es aber schwierig, in die Materie hinein zu finden. Man verbringe sehr viel Zeit damit, die komplizierten Planungsvorgänge für solche Stromtrassen nachzuvollziehen. Die Kontaktgruppe sei grundsätzlich eine sinnvolle Sache: „Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob wir tatsächlich Einfluss darauf nehmen können und wirklich Gehör finden bei der Frage, welche Trasse letztlich für die Stromleitung realisiert wird.“ Aber schon jetzt zeichne sich in Gesprächen mit Bürgern ab, dass keiner die Leitung sehen wolle und deshalb Erdkabel favorisiert werden.

 

Vorsprung der Planer

 

Martin Zorzi vom Umweltzentrum in Schwäbisch Hall: „Wir sind eigentlich recht froh, dass die Kontaktgruppe existiert.“ Es gebe sehr viel Fachwissen in diesem Gremium und auch die Bürger hätten sich sehr gut in das Thema eingearbeitet. „Aber im Grunde hätte man die Kontaktgruppe schon wesentlich früher bilden müssen“, weil die Planer der ENBW mit ihren Überlegungen schon weit fortgeschritten seien und die Kontaktgruppe „hinkt mit alternativen Vorschlägen hinterher – und ich habe den Eindruck, dass die Planer nicht gerade davon begeistert sind“, wenn neue Ideen für eine Stromleitungstrasse auf den Tisch kommen.

 

Horizont erweitert

 

Heinz Kastenholz, Geschäftsführer des Energiezentrums in Wolpertshausen: „Die Moderation in diesem Gremium ist hoch professionell und die Treffen werden stets exzellent vorbereitet.“ Der ganze Prozess sei zudem „sehr lehrreich, weil ich hier noch ganz andere Meinungen höre, die ich so noch nie betrachtet habe und eine ganz andere Sichtweise auf die Trassen vermitteln – der eigene Horizont wird deutlich erweitert.“ Ob aber die Trassen-Vorschläge aus der Kontaktgruppe tatsächlich Einzug in das weitere Verfahren halten, „kann ich noch nicht beurteilen – es wäre aber sehr schade, wenn diese Arbeit umsonst gewesen wäre.“

 

Folgen genau prüfen

 

Helmut Bleher, Geschäftsführer des Bauernverbandes Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems: „Für uns ist der entscheidende Punkt, dass durch die Stromleitung möglichst keine Ackerflächen zerschnitten werden und keine Masten mitten hinein in die Feldflur gesetzt werden.“ Beim eventuellen Einsatz von Erdkabeln müsse zudem genau geprüft werden, ob es dadurch Einflüsse auf die Bodenstruktur gebe – zum Beispiel auf vorhandene Drainagen oder auf die Bodenfruchtbarkeit durch die Wärmeentwicklung von solchen Kabeln. Und auch die „Frage der Grunddienstbarkeiten spielt für den Bauernverband eine Rolle bei dieser Planung.“

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