Kooperatives Ausbildungsprojekt "Landwirtschaft macht Schule"

Aufeinander zugehen, voneinander lernen

Auf dem Hof von Familie Breuninger kam eine fünfte Klasse mit jungen Lehramtsstudierenden und Landwirten im Rahmen des Ausbildungsprojektes „Landwirtschaft macht Schule“ zusammen. Rund um das Thema Schwein wurde Lehrmaterial erarbeitet und das Borstenvieh genau unter die Lupe genommen.

Ruhe und Gelassenheit - diese Stimmung schwingt mir entgegen, als ich den Vormaststall der Landwirtsfamilie Breuninger in der Nähe von Hemmingen betrete. Die Schweine -sogenannte Läufer mit einem Gewicht von 30 - 40 kg, wühlen sich entspannt durch das kürzlich eingestreute Stroh. Weiter hinten im Stall hört man neben Grunzen und Quieken vor allem interessierte Kinderstimmen. Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse der Glemstalschule, einer Gemeinschaftsschule in Schwieberdingen, fühlen sich in den Boxen inmitten der Schweine sichtlich wohl.

 

Wie sich die Tiere verhalten, sich bewegen und ob sie gesund wirken, notieren sie auf Klemmbrettern. Bei der Aufgabe „Beobachten und Wiegen“ der Schweine im Vormaststall stehen ihnen angehende Lehrkräfte der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Universität Hohenheim zur Seite. Auch die Landwirtinnen und Landwirte der Akademie für Landbau und Hauswirtschaft Kupferzell geben den Kindern Rückendeckung, wenn es um die Beurteilung der Schweine geht. Anhand der „5 Freiheiten“ (Freiheit von Hunger und Durst, Freiheit von Unbehagen, Freiheit von Schmerz und Krankheit, Freiheit von Angst und Leiden sowie Freiheit zum Ausleben ihres normalen Verhaltens) gehen die Fünftklässlerinnen der Frage nach, ob das Tierwohl gegeben ist.

Währenddessen stellen die Projektleitenden von „Landwirtschaft macht Schule“ in der Werkstatt der Familie Breuninger die Anstrengungen vor, die im Hoftag als „Höhepunkt des kooperativen Ausbildungsprojektes“ am 27. Januar mündet. Dr. Frank Rösch betreut seitens der Pädagogischen Hochschule (PH) in Ludwigsburg die beteiligten Lehramtsstudierenden. Dort ist er als Dozent für Biologie und Biologiedidaktik mit dem Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung betraut. Über die Landwirtschaft „gibt es Klischees in der Gesellschaft“, meint Dr. Rösch. Um diese Vorurteile zu entkräften, und durch den Austausch von Pädagogik und Landwirtschaft „Synergieeffekte besonders früh nutzen“ zu können, sei das Projekt Landwirtschaft macht Schule gedacht. Um das Ziel erreichen zu können, sollen beide Berufsstände - Landwirtschaft und Lehramt – zusammengebracht werden. Für Dr. Rösch ist es besonders wichtig, dass alle Beteiligten motiviert sind.

Gleichermaßen beteiligt ist auch die Akademie für Landbau und Hauswirtschaft Kupferzell (ALH). Die jungen Landwirtinnen und Landwirte sind dort auf dem Weg ihre Ausbildung „Wirtschafter/in Landbau“ oder zum Meister zu durchlaufen. Die Lehrinhalte für die Schüler wurden gemeinsam mit den Studierenden aus Ludwigsburg konzipiert. Schulleiter Dr. Peter Grün freut sich, „dass die Zusammenarbeit mit der PH Ludwigsburg so gut funktioniert.“ Fachlicher Ansprechpartner für die Studierenden aus Ludwigsburg war Felix Hezel. An der ALH ist er für den Bereich Tierhaltung zuständig. Seine Motivation, im Ausbildungsprojekt mitzuwirken, gründet sich auf Online-Lernvideos mit falschen Inhalten ohne Faktenbasis aus der Landwirtschaft.

 

Aus der Not heraus ist das Projekt „Landwirtschaft digital für die Schule“ entstanden, da während den ersten zwei Wintern nach Beginn der Corona-Pandemie keine Vor-Ort-Besuche auf den Höfen möglich waren. Dabei haben Studierende und Fachschüler gemeinsam Lernvideos produziert, die durch interaktive Fragestellungen Teil des Unterrichts an den Schulen waren. Fachliche Unterstützung dabei gab die ALH-Lehrerin Ina Weiß. Die Einführung zum Filmen erfolgte durch Mathias Schweikert, der Schneidetechnik, Nachvertonen der Filmsequenzen und Aufnahmeperspektiven vermittelte. Das zuletzt produzierte Video „Woher kommt das Ei? sollte einen Kompromiss generieren, ohne dass Schüler auf einen Hof kommen müssen. Dennoch konnten sie mithilfe des im Unterricht behandelten Themas Einblick in einen Stall erhalten. Die Vorteile eines Bauernhofbesuches wie bei Lernort Bauernhof sind aber besser, meint Ina Weiß.

 

Zurück im Vormaststall machen die Schülerinnen und Schüler noch Fotos der Schweine, um zur Nachbereitung des Praxis-Unterrichts ihre Eindrücke über die Tierhaltung und die Ansprüche des Tierwohls zu vergleichen und zu begründen. Eine weitere Gruppe hatte vor allem das Tierwohl im Maststall im Blick. Basierend auf ihren Eindrücken platzierte sie verschiedene Funktionsbereiche in einem Stallgrundriss, und ordnete verschiedene Grundrisse und Platzverhältnisse den Haltungsformen 1-4 zu. Deutlich wurde dabei das größere Platzangebot der Schweine der Breuningers im heutigen Stall im Vergleich zum Früheren. Nach einigen Umbauten konnten sie die Haltungsform 4 für ihre Schweine realisieren - auch ohne Bio-Zertifikat.

Neben dem Platz im Schweinestall war auch der anfallende Mist ein Thema auf dem Lehrplan. Damit betreiben Aline und Marco Breuninger zum Teil eine Biogasanlage, die sich die Schüler genau anschauen konnten. In der Schule führten sie vorab einen Versuch durch, bei dem in Flaschen mit Gärsubstrat eine kleine Menge Biogas einen Luftballon füllen sollte. Zuletzt stand die Zuordnung verschiedener Futtermittel für die Schweine als Lernstation für die Schüler an. Voller Sinneseindrücke und praktischen Wissens machte sich die fünfte Klasse am Mittag per Bus auf den Weg zurück zur Schule. Ein Abschiedsfoto durfte natürlich nicht fehlen. Zum Schluss bedankten sich Aline und Marco Breuninger bei Schülern, Lehrkräften und Studierenden für ihr Engagement. Auch sie konnten viel vom Hoftag mitnehmen: Interessante Fragen, aber vor allem glückliche Kindergesichter.

 

 

Seit dem Start im Winter 2014/2015 wurde „Landwirtschaft macht Schule“ zum achten Mal als interdisziplinäres Ausbildungsprojekt durchgeführt. Von Beginn an dabei ist Andrea Bleher, Klassenzimmer Bauernhof beim Bauernverband Schwäbisch Hall Hohenlohe Rems. Im Projekt organisiert sie den Besuch auf dem landwirtschaftlichen Betrieb und unterstützt bei den erlebnisorientierten Lernstationen. „Dass Kinder Landwirtschaft mit eigenen Augen sehen und erleben können, motiviert mich nach wie vor“, fasst sie bei ihrer Moderation des offiziellen Teils auf dem Hof der Familie Breuninger zusammen. Auch Ann-Kathrin Käppeler, Projektleiterin von Lernort Bauernhof, freut sich über den langjährigen Erfolg des gemeinsamen Ausbildungsprojekts. Sie verfolgt den Ansatz, dass die sechs Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg innerhalb eines Seminars Lernort-Bauernhof-Betriebe besuchen, die zukünftig idealerweise „Tandem-Partner“ für einen direkten Kontakt der Studierenden in die Landwirtschaft werden.

Lob kommt auch vom Regierungspräsidium Stuttgart. Dr. Kurt Mezger beschreibt seinen Aha-Moment im ersten Jahrgang 2014/15 wie folgt: „Die Freude der Gruppen (gemeint sind Schüler, Fachschüler und Studierende) hat einen Mehrwert, der nicht mit Geld bezahlbar ist. Das war der Moment, an dem ich gesagt habe: Jawoll!“ Baden-Württembergs Vize-Bauernpräsident Jürgen Maurer hofft darauf, dass das wichtige Projekt, das Kindern einen realen Einblick in die Landwirtschaft gibt, auch in Zukunft finanziert werden kann.

Im aktuellen Jahrgang von „Landwirtschaft macht Schule“ dreht sich alles um das Thema Schweinemast. In früheren Jahrgängen wurden Milchviehhaltung, Bullenmast, Hähnchenmast oder Legehennenhaltung thematisiert. Das Thema Tierwohl und die Möglichkeit, Schülern zu eigener Beurteilung zu befähigen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle acht abgeschlossenen Projekte.

David Benzin, unterstützt von Andrea Bleher

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