Ferkelerzeuger in Entscheidungsnot – Kastrieren oder nicht ? Wenn ja – wie ?

Diskussion im hochkarätigen Podium in Wolpertshausen im Rahmen einer Fachtagung des Bauernverbands

In knapp zwei Jahren ist nach dem Tierschutzgesetz die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Die Praxis sucht nach Wegen zum Umgang mit den neuen Vorschriften. Zu diesem Thema veranstaltete der Bauernverband  am Mittwoch, dem 16. November 2016  in Wolpertshausen eine Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Gästen aus dem Einzelhandel, von Schlachthöfen, aus der Wissenschaft und der staatlichen Veterinärverwaltung.

Eines der in Frage kommenden Ersatzverfahren ist die Ebermast. Rolf Michelberger von der Firma Ulmer Fleisch beklagte das mangelnde Interesse der Erzeuger an der Mast unkastrierter männlicher Ferkel. Wie der Geschäftsführer berichtete, führe der Schlachthof Ulm eine eigenständige Preismaske für Schlachteber, deren Eingangsgewichte für die Jungeber gezielt gesenkt wurden. Ansonsten würden die Schlachteber wie alle anderen Schlachtschweine bezahlt. Daraus ergebe sich im Grunde ein wirtschaftlicher Vorteil für die Ebermäster, der aber offensichtlich nicht ausreichend sei. Das Interesse sei gering.

 

Für Robert Kraft aus Schrozberg-Schmalfelden kommt die Ebermast nicht in Frage. An der Landesanstalt in Boxberg hat sich der Schweinehalter über das Haltungsverfahren informiert. Am Vorabend der Diskussionsveranstaltung habe er sich zudem die Vor- und Nachteile aufgelistet. Sein Fazit in Wolpertshausen: „Die Eber bleiben in ihrem Verhalten Eber. In so eine Box traue ich mich nur noch mit einem Stock. Das ist für mich nicht akzeptabel.“

 

Breiten Raum nahm bei der Diskussion der abweichende Geruch von Eberfleisch und damit Verbraucherirritationen ein. Während Prof. Dr. Ulrike Weiler vom Hohenheimer Institut für Nutztierwissenschaften den Prozentsatz belasteter Schlachttiere auf bis zu 30 Prozent schätzte, hielt Dr. Heinz Schweer von der VION Group dagegen. „Nur zwei bis drei Prozent der Schlachttiere sind tatsächlich geruchsauffällig, damit kommen wir gut zurecht“.

 

Um das aggressive Eberverhalten zu bändigen, empfiehlt Prof. Weiler die sogenannte Immunokastration in Form der Variante für Biobetriebe. Hier wird den Tieren bis zur Schlachtreife dreimal ein Eiweiß gespritzt, das aufgrund einer Immunreaktion die Geschlechtsreife  vorrübergehend unterdrückt.  Bei frühzeitiger und drei- statt zweimaliger Impfung verschwänden zudem die unangenehmen Nebenwirkungen wie Rangkämpfe und Penisbeißen. Der abweichende Geruch sei damit sowieso behoben.

 

Zurückhaltung bei den Metzgern

 

Für die in Süddeutschland noch stark vertretene Metzgervermarktung kommt Eberfleisch nicht in Frage. Auch die Immunokastration sei keine Lösung,  bestätigte Metzgermeister Rüdiger Pyck vom Landesinnungsverband des Fleischerhandwerks Baden-Württemberg. Eberfleisch sei zum Beispiel zu mager für den weithin bekannten Schwarzwälder Schinken. Auch für Rohwurst sei Eberfleisch im Grunde unbrauchbar. Beim Fleisch der immunokastrierten Eber sei die Fleischqualität vergleichbar mit Eberfleisch und damit für die Metzgeransprüche ungeeignet.

 

Die dritte Alternative, Ferkel unter Narkose zu kastrieren, erscheint nur vordergründig als Lösung. Ungeklärt sei, ob tatsächlich das Schmerzempfinden der Ferkel durch die Kurznarkose ausgeschaltet sei. Erhebliche  Probleme sehen die Ferkelerzeuger bei den aufwachenden Tieren, die nicht sofort wieder in der Lage seien, an der Sau zu saugen und  Gefahr liefen, erdrückt zu werden. Ein ganz erheblicher Kritikpunkt ist die Belastung des Landwirts durch das eingesetzte Narkosegas Isofluran. Hier seien die Folgewirkungen noch völlig ungeklärt. Anlass zu konkreten Befürchtungen sei aber gegeben. Zudem bestünde bisher noch keine Zulassung dieser Methode zur Ferkelkastration.

 

In Süddeutschland Handlungsbedarf

 

Angesichts der lebhaften Gesprächsrunde macht Dr. Heinz Schweer von der VION in Süddeutschland im Gegensatz zum Norden eine gewisse „Zurückhaltung und Unsicherheit unter Landwirten und Schlachthofkunden“ aus. Dr. Ludger Breloh  Bereichsleiter Grüne Produkte von REWE brachte die Lage auf den Punkt: „Hier sind noch dicke Bretter zu bohren.“ Ungewöhnlich für einen Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels war indes sein Engagement für die süddeutsche Ferkelhaltung. Er appellierte an die Ferkelerzeuger im Saal: „Das Datum 1. Januar 2019 ist gesetzt“. Das Tierschutzgesetz werde auch nach der Bundestagswahl 2017 „nicht mehr aufgemacht“. Deshalb müssten Ferkelerzeuger – bei manchen Verfahren auch die Mäster –sich jetzt entscheiden, welches Verfahren sie ab 2019 anwenden wollten. Wenn kein Verfahren akzeptiert würde, werde die Ferkelerzeugung in Süddeutschland aufhören und Importferkel aus den Niederlanden und Dänemark aufgestallt: Dort gibt es im Gegensatz zu Deutschland bisher keine Tendenzen, von der betäubungslosen Kastration abzukommen.  Breloh: „REWE verbietet allen Erzeugern die betäubungslose Katration schon ab 1.1.2017, damit brechen wir im Grunde eine Lanze für die Süddeutschen Ferkelerzeuger, da damit auch die Importe aus dem Norden gleiche Voraussetzungen erfüllen müssen.“

 

Einen interessanten Vorschlag brachte Dr. Andreas Randt Leiter des Tiergesundheitsdiensts Bayern in die Diskussion:  In Schweden sei es möglich, Ferkel mit lokaler Betäubung zu kastrieren. Dies entspreche im Übrigen dem Vorgehen bei der Sterilisation bei Menschen, wie ihm ein Urologe versichert habe. Allerdings sei das dazu notwendige Medikament lediglich in der Schweiz und in Schweden zugelassen. Wie Randt berichtete, seien die bayerischen Kollegen bereits mit Tierarzneiherstellern und dem Gesetzgeber im Gespräch wegen einer Zulassung in Deutschland.  Bei den anwesenden Fachleuten  und Praktikern stieß diese Idee auf sehr großes Interesse. Sowohl der LEH Vertreter als auch die Repräsentanten der Schlachtbranche zeigten sich höchst interessiert, die notwendigen zulassungsrechtlichen Schritte zu unterstützen.

 

Andererseits warnen die Vertreter des Bauernverbands vor zu frühen Hoffnungen. Immerhin werde seit mehreren Jahren an der Problematik mit Hochdruck geforscht. Insofern sei es erstaunlich, dass ein praxisnaher Vorschlag zur Lösung der Problematik erst jetzt zum Vorschein komme, wo es im Grunde kurz vor zwölf sei.

 

Bei der LBV-Podiumsdiskussion kristallisierten sich im Grund vier Verfahren heraus, die den Schweinehaltern nach 2019 zur Verfügung stehen, stellte Moderator und LBV-Marktreferent Marco Eberle fest. Damit hätten die Betriebe vor Ort jetzt die Möglichkeit, das für sie passende auszuwählen. Wesentlich sei, dass sich die Betriebsleiter entscheiden und die Alternative zur betäubungslosen Ferkelkastration jetzt angehen. Klaus Mugele, Vorsitzender des Bauernverbandes Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems, dankte den Referenten und zog ein persönliches Fazit: „Zum einen oder anderen Detail habe ich jetzt mehr Klarheit.“ Es zeige sich aber immer wieder, dass es unverantwortlich sei, Auflagen und Restriktionen vorzuschreiben ohne dass geklärt sei, wie diese in der Praxis umgesetzt werden können.

 

Bleher  21.11.2016

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